Aus dem Tagebuch eines Hamsters
Gestatten: Mein Name ist Knirpsi. Kamikaze-Knirpsi. Für die meisten Menschen bin ich ein gewöhnlicher Teddyhamster. Meine Menschenfamilie allerdings nennt mich einen „syrischen Säbelzahntiger“. Mir persönlich gefällt das besser – es klingt verwegener, und das bin ich auch. Meine größte Leidenschaft: aus meinem Auslauf auszubrechen. Dank meiner durchaus beträchtlichen Intelligenz habe ich es darin zu wahrer Meisterschaft gebracht.
Schon in der Zoohandlung war mir klar, dass ich mein Leben nicht in Gefangenschaft verbringen möchte. Doch was tun? Aus meinem Glaskasten jedenfalls kam ich ohne fremde Hilfe nicht heraus. So griff ich bereits im zarten Alter von vier Wochen zu meiner ersten List. Ihr fiel die Frau zum Opfer, die eines Tages auf der Suche nach einem kuscheligen Hamster für ihre Tochter vor mir Halt machte. Anders als meine scheuen Artgenossen kam ich gleich auf sie zugelaufen – eine Maßnahme, die ich trotz meiner noch beschränkten Menschenkenntnis als aussichtsreich einstufte – zu Recht: Sie kaufte mich vom Fleck weg.
Raus aus dem Käfig
Erfreulicherweise erkannte meine neue Menschenfamilie gleich, dass mein Käfig mir nicht genügend Bewegungsfreiraum bot. Es war recht einfach, sie davon zu überzeugen. Sobald ich wach war, nagte ich ohne Unterlass an den Stäben. Das verstanden sie und bauten mir einen großen Auslauf.
Die 30 cm hohen Spanholzplatten, die ihn umgaben, stellten kein ernsthaftes Hindernis für mich dar. Zum einen, weil unvorsichtige Kinder die Platten immer wieder so weit auseinanderschoben, dass ich problemlos durch die Lücken schlüpfen konnte. Zum anderen weil die Kabelbinder, die die Platten zusammenhielten, meinen rasiermesserscharfen Zähnen nur wenig Widerstand zu leisten vermochten. Doch meine Menschenfamilie fing mich jedes Mal wieder ein.
Gut genagt ist halb gewonnen
Zu etwas härteren Waffen griff ich, als das kleine Mädchen, dem ich gehöre, Reitferien machte. Die Aussicht darauf, sieben Tage lang ungestört an der Realisierung meiner Fluchtpläne arbeiten zu können, beflügelte mich.
Unermüdlich begab ich mich an die Arbeit. Bereits nach zwei Tagen war es mir gelungen, eine ausreichend große Öffnung in eine der 8 mm dicken Spanplatten zu beißen. Leider kam mir meine Menschenfamilie auf die Schliche, bevor ich den Eingang zum Tunnel hinter der Teppichleiste gefunden hatte. Hinter dem großen Loch, das ich dort bereits hatte hineinbeißen können, war leider nur Beton zum Vorschein gekommen.
Mit Muskelkraft und Grips
Nicht, dass mich das entmutigt hätte. Ich trainierte heimlich, um meine Beinmuskulatur zu stärken und dann zu meinem nächsten Schlag auszuholen. Schließlich war es so weit: Eines Tages lag meine schöne Kletterrinde beglückend nah am Auslaufrand. Ich erklomm sie souverän, setzte zu einem gewagten Sprung an und – spürte die Oberkante des Auslaufs unter meinen Krallen. Ich hatte es geschafft! Dumm nur, dass der Vater meines kleinen Frauchens gerade im Zimmer war. So landete ich gleich wieder im Auslauf und die Rinde verschwand.
Entschlossen, nicht aufzugeben, setzte ich am nächsten Tag eins obenauf. Mein Schuhkarton-Häuschen war nicht nur mein auserkorener Lieblingsplatz, sondern auch das ideale Hilfsmittel zum erneuten Ausbruch. Zielstrebig und unter Auferbietung all meiner Kraft schob ich es Stück für Stück zur Auslaufwand. Der Rest war ein Kinderspiel, denn ich hatte hierfür bereits oft genug trainiert: ein Sprung an die obere Auslaufkante, ein kurzer Klimmzug – weg war ich.
Mission impossible?
Warum ich Ihnen diese Zeilen dennoch schreibe, können Sie sich denken: Ich bin wieder einmal ertappt worden. Diesmal von meinem Frauchen. Mein Schuhkarton-Häuschen hat jetzt ein schweres Holzdach, und bis zu meinem nächsten Ausbruch wird es wohl noch eine Weile dauern. Trotzdem: Aufgeben kommt für mich nicht in Frage. Für die Umsetzung meines nächsten Plans benötige ich lediglich noch etwas Zeit. Denn ich weiß genau, was ich als nächstes versuche. Ich baue mir ein Trampolin!