„Love affair“ mit Widersprüchen
Habe ich es Ihnen schon gestanden? Ich habe ein Faible für Großbritannien. Das zuzugeben erfordert Mut. Jeder Teenager würde ob der Zumutung erblassen, ein Jahr bei „Fish’n‘Chips“ im ewigen Nebel zu verbringen. Es sollten schon mindestens die Vereinigten Staaten sein, besser noch Australien oder Neuseeland. Doch ich liebe sie, die Brits und ihr Land.
Dass das Konzept der Mischbatterie den meisten Briten fremd ist, durfte ich bei meinem ersten Schüleraustausch erfahren. Ratlos stand ich vor der Badewanne. Kalt- und Warmwasserhahn voneinander getrennt, der Wassereinlauf unmittelbar am Wannenrand. Wie soll man sich da die Haare waschen? Die Lösung des Dilemmas: ein schlauchartiger Adapter, der die beiden Batterien kunstvoll miteinander verband und so den nötigen Abstand zum Wannenrand herstellte. Dass es sich bei diesem – in meinen Augen – Provisorium um eine De-Luxe-Version handelte, stellte ich ein Jahr später bei Gastfamilie Nr. 2 fest: Sie vertraute mir auf Nachfrage einen Messbecher aus dem Küchenschrank an.
Auch die hohe Kunst der Teezubereitung bestaunte ich gebührend. Drei Teebeutel über mehrere Stunden hinweg in einer Kanne vor sich hinziehen zu lassen und sich anschließend zu wundern, dass der Tee bitter schmeckt – dazu gehört schon etwas. Ach, man kann die Beutel herausnehmen? Was die Deutschen für praktische Ideen haben…
Zu nennen wäre hier auch die beeindruckende Kälteresistenz der Briten. Flotte Schottinnen, die bei gerade einmal fünf Grad plus auf das Tragen jeglicher Strumpfhosen unter ihrem Rock verzichten, beherzte Youngster, die ihre Männlichkeit bei einem Neujahrsbad im Ärmelkanal unter Beweis stellen – derlei gehört hier zur Tagesordnung. Generationen schlecht isolierter Häuser sind eine harte Schule.
Have a pint… or ten
Ebenfalls begeistert hat mich das rege Clubleben an englischen Universitäten. Selbstverständlich geht man dort auch ganz gewöhnlichen Freizeitbeschäftigungen wie Fußball oder Badminton nach – aber hätten Sie mit einer „Church Bell
Ringing Society“ gerechnet? Oder mit einer Vereinigung, die den programmatischen Namen „Drunken Shits“ trägt?
In dieser Society fordert man der Leber permanente Höchstleistungen ab – gerne strategisch geplant als sogenannter „Pub Crawl“, eine Veranstaltung, bei der man auf vorab ausgearbeiteter Route eilig von Pub zu Pub hastet, um dort selbstlos den Umsatz zu fördern. Und demonstriert ganz nebenbei den blanken Unsinn restriktiver Pub-Öffnungszeiten, denn die Engländer konsumieren keinesfalls weniger Alkohol als die Deutschen – müssen dies jedoch in weitaus kürzerer Zeit erledigen.
Meine persönlichen „All time favourites“ sind jedoch englische „gift shops“, zu deutsch: Souvenirgeschäfte. Hier tummeln sich Kitsch und Scheußlichkeiten aller Art in einem Ausmaß, das selbst die deutsche Hochburg der Kuckucksuhren (Köln, wenn man den zahlreichen Souvenirläden der Domstadt Glauben schenken darf) vor Neid erblassen lässt. Da kann man nur schlussfolgern, dass die phonologische Verwandschaft mit dem deutschen Wort „Gift“ keineswegs zufällig ist.
Schafsköpfe gefällig?
Warum ich dieses Land dennoch liebe… auch diese Frage lässt sich beantworten. Da wären zunächst einmal die wunderbaren Landschaften, von den grünen Hängen des Südwestens bis zu den raueren Gegenden der Highlands oder Yorkshire Dales. Abgeschiedenheit findet man dabei überall nach Belieben. Und Schafe, die auf einem Parkplatz mitten im Nirgendwo neugierig den Kopf zur Autotür hineinstecken, während man seine Siebensachen zusammensucht.
Um diese Landschaft ausgiebig zu genießen, erkundet man Großbritannien am besten fernab der englischen Motorways auf so genannten „single track roads with passing places“. Das sind einspurige Sträßchen mit gelegentlichen Haltebuchten, auf denen man dem Gegenverkehr ausweicht – oder auch dem ungeduldigen „local“ im Rückspiegel, der seine persönliche Ehre gefährdet sieht, weil er eine kurvenreiche, beidseitig von drei Meter hohen Hecken begrenzte Fahrrinne mit weniger als 70 km/h entlangbrettert.
Empfehlungsmarketing auf englische Art
Kommt man auf die waghalsige Idee, die Highlands ausgerechnet im Dezember bereisen zu wollen (auf Sommerreifen, versteht sich), lernt man eine weitere liebenswerte Eigenschaft der Briten kennen: ihre Gastfreundschaft. Anstatt am Ende eines langen Tages weitere 30 Kilometer bis zum nächsten „Bed & Breakfast“ zurücklegen zu müssen, wird man im Supermarkt zu Nelly geschickt, die „da oben am Hang im zweiten Haus links wohnt“. Und uns garantiert nicht wegschicken wird. Nelly betreibt ihr B&B zwar eigentlich nur während der Sommermonate, freut sich aber über nette Gesellschaft und verfügt – was fast noch besser ist – über wohltemperierte Zimmer.
Diese Offenheit findet ihre Fortsetzung in der überwältigenden Bereitschaft der Briten, Fremden ihr Land nahezubringen. Das reicht von gemeinsamen Ausflügen durch die Umgebung (ein dehnbarer Begriff, der auswärtige Übernachtungen einschließen kann) bis zur leihweisen Überlassung des eigenen PKW. Eine, wie ich finde, angesichts des Linksverkehrs mutige Geste.
Sofern man der englischen Sprache auch nur halbwegs mächtig ist, darf man sich beim Besuch im Vereinten Königreich auf zahlreiche enthusiastische Äußerungen gefasst machen. Allerdings ist es nicht sonderlich schwierig, den Durchschnittsbriten just damit zu beeindrucken – misst er doch die fremdsprachlichen Fähigkeiten seiner Gäste an seinen eigenen. Und das bedeutet: den in der Regel nicht vorhandenen. Unter Umständen gilt das auch für die Muttersprache. So konstatierte der Landlord meines „Bed & Breakfast“ in den Midlands beeindruckt: „You speak better English than what I do“ – eine uneingeschränkt glaubhafte Behauptung…
Nacht- und Nebelaktion
Bleibt mir noch, in Gedanken die Koffer zu packen und mich in Vorfreude zu üben. Auf meiner persönlichen To-do-Liste steht u. a. Exmoor, wo zahlreiche Ponys und Schafe ungeduldig auf mich warten. Woher ich das weiß? Weil der erste Versuch, einander tief in die Augen zu blicken, kläglich scheiterte: Er fiel auf den bislang einzigen Tag, an dem ich England im sprichwörtlichen Nebel erlebte…
Bildmaterial
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